Haupinhalt

Nach 35 Jahren als Psychomotoriktherapeutin auf zu neuen Ufern

23. Juli 2024
Karin Linder beendet nach fast 35 Jahren ihre Karriere als Psychomotoriktherapeutin bei den Schuldiensten Emmen. Sie hat die Schuldienste Emmen und insbesondere die Psychomotoriktherapiestelle sehr geprägt. Im Interview erzählt sie von ihrer Laufbahn, ihrer Liebe zum Beruf und ihren Beweggründen für die frühzeitige Pensionierung.

Seit wann arbeiten Sie in Emmen als Psychomotoriktherapeutin?
Karin Linder: Im Januar 1990 wurde ich von der Kleinklassenkommission im 80-ProzentPensum angestellt. Die Stelle entwickelte sich in kurzer Zeit – die Überlastung war bereits damals Dauerthema, sodass die Stelle mehrmals ausgebaut wurde. Heute bin ich mit vier weiteren Psychomotoriktherapeutinnen für die Therapiestelle zuständig.

Sie haben einst die Schuldienste geleitet. Warum haben Sie diese Position nicht mehr inne?
Im Jahr 2000 teilte ich zwei Jahre lang mit Verena Häller die Leitung, danach leitete ich interimistisch ein Jahr lang alleine die drei Fachbereiche Logopädie, Psychomotoriktherapie und Schulpsychologischer Dienst. Damals waren die Leitungsansprüche nicht so komplex wie heute: Beispielsweise hatte ich keine Budgetverantwortung. Die strategische Ebene ist nicht so mein Ding – ich bin eine Praktikerin. Der Beruf einer Psychomotoriktherapeutin ist zu schön, um den Platz mit dem Bürostuhl zu tauschen.

«Munterwegs» gehört auch zu Ihrem Leistungsnachweis.
Ja, dieses Projekt ist aus einer Langzeitweiterbildung herausgewachsen. Es war ein Glücksfall, Miriam Hess kennenzulernen. Durch sie lernte ich, projektbezogen zu arbeiten. Durch meine Arbeit als Psychomotoriktherapeutin erkannte ich den hohen Unterstützungsbedarf von Kindern mit wenig kindgerechten Freizeitanregungen. So entwickelten wir eine Mentoring-Idee für bedürftige Schulkinder – Emmen war die Pilotgemeinde. Dieses integrative und intergenerative Projekt besteht nun seit zwölf Jahren.

Was nehmen Sie mit, wenn Sie von den Schuldiensten gehen?
Sicher werde ich die Kinder vermissen – ihr Lachen, ihre Freude und ihre grosse Fähigkeit, sich auch mit schwierigen Voraussetzungen zu entwickeln; den kleinen Philosophen Micael (Name geändert), der bei meiner Frage, was er gern mache, «spielen» als Antwort gab – und konsequenterweise bei der Frage, was er nicht gern mache, meinte: «Nicht spielen.» Aber eben, die Umsetzung solcher Wünsche ist im Schulalltag nicht einfach und auch nicht immer sinnvoll. All die Kinder, die sich durch Rollenspiele in neuen Bewegungsabläufen übten, etwa ein gehemmtes Mädchen, welches sich als Zirkusdirektorin auf die oberste Sprosse stellte und laut eine neue Zirkusnummer ankündete, zeigen mir, wie die Psychomotoriktherapie vielen Kindern einen guten Raum zur individuellen Entwicklung bietet. Dabei habe ich viele verschiedene Rollen eingenommen: Begleiterin, Kollegin, Therapeutin – immer in Beziehung zum Kind.

Was bewegt Sie dazu, Ihren Beruf früher loszulassen?
Das Integrationsmodell erachte ich in der heutigen Form als noch nicht zu Ende gedacht. Da es der integrativen Schule an Ressourcen und Personal mangelt, kann das aktuelle Modell weder den Bedürfnissen der Lernenden noch der Unterrichtenden vollständig gerecht werden. Die grosse Heterogenität der Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler erschwert den Schulalltag stark. Die Schlies sung von Kleinklassen und die Integration aller Kinder haben oft zu einer deutlichen Überlastung der Regelklassen und deren Lehrpersonen geführt. Auch erlebe ich viele Eltern gestresst. Die digitale Welt ist im Kinderzimmer allgegenwärtig und hinterlässt deutliche Spuren. Das macht sich auch im Schulalltag bemerkbar und Kindergruppen sind schwieriger zu führen. Viele Lehrpersonen sind auf diese Veränderungen ungenügend vorbereitet und es fehlen ihnen die nötigen Instrumente. Im Rahmen dieser Entwicklung hat sich auch mein Berufsalltag stark verändert: So ist die Entlastung einer Klasse durch Therapiestunden oft wichtiger als eine individuelle psychomotorische Förderung. Auch kann die Umbenennung pädagogischer Begriffe in der Praxis oft zu Missverständnissen führen. Ich denke, eine geistige Einschränkung als «kognitiven Entwicklungsbedarf» zu benennen, kann bei manchen Eltern falsche Erwartungen wecken. Das Wichtigste für mich ist jedoch, dass ein Kind mit speziellem Förderbedarf integrativ oder separativ geschult und individuell gefördert und somit für die Integration in die Gesellschaft befähigt wird. Ich wünsche der Schule der Zukunft mehr Ressourcen und Entlastung.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Ich freue mich darauf, in unserem Familienunternehmen Fähre Beckenried Gersau und auf dem Fahrgastschiff «Aurora» mithelfen zu können.

Eine Therapiestunde.
«Der Beruf einer Psychomotoriktherapeutin ist zu schön, um den Platz mit dem Bürostuhl zu tauschen», sagt die langjährige Therapeutin Karin Linder. (Bild: Carmen Lana)